Blog: Schöner leben mit dem Artvertiser

1988 hat John Carpenter mit seinem Film They Live die erschütternde Wahrheit über die Aussenwerbungsindustrie erzählt. Ein Bauarbeiter findet eine Sonnenbrille, setzt sie auf und sieht plötzlich die unbewussten Imperative hinter den alltäglichen Werbebotschaften: «CONSUME», «OBEY», «CONFORM». Bald stellt sich heraus, was heute ein Allgemeinplatz ist: Die gesamte kapitalistische Wirtschaft und Politik ist durchdrungen von zombieähnlichen Ausserirdischen, die die Weltdominanz anstreben.

20 Jahre nach Carpenters Film haben die Künstler Julian Oliver, Clara Boj, Diego Diaz und Damian Stewart einen Apparatus entwickelt, der die ausserirdischen Botschaften überspielt. Der Artvertiser ist ein Binokular, das Werbeflächen erkennt und in Echtzeit durch Kunst oder sonstige Bilder und Videos ersetzt. Damit schaffen sie eine Outdoor-Galerie, die bedürfnisgerecht bespielt werden kann und das öde Konsumblabla ausblendet.

Das ist subversiver als es scheinen mag. Denn in dieser Technologie, besonders wenn sie etwas weniger sperrig wird, liegt das Ende – und damit der Neuanfang – der Aussenwerbung.

Und das geht so: Die Werbeträger werden durch elektronische Marker ersetzt. (Das Metall wird der Rüstungsindustrie zu vorteilhaften Konditionen verkauft, damit niemand den Paradigmenwechsel als wirtschafts- oder arbeitsplatzfeindlich bezeichnen kann.) Am Kiosk kauft sich der Werbeaficionado für einen Fünfliber die Artvertiser3000-Brille, setzt sie auf und erfreut sein Herz an den hübschen Reklamen. In Ermangelung adäquater Technologien müssen die Plakatgesellschaften heute das Blickfeld der Betrachter ohne deren Zustimmung oder Entschädigung verkaufen. Mit dem Artvertiser3000 können sie sich endlich aus dieser rechtlichen Grauzone herausbewegen und individuelle Verträge mit den Passanten schliessen.

Doch das ist noch nicht alles, denn was wir hier haben, ist mehr als die lang ersehnte Legitimierung der Aussenwerbung. Die erweiterte, programmier- und interaktionsfähige Realität des Artvertiser3000 ist nichts Geringeres als das berührungsfreie Internet in der dritten Dimension. Und damit ein neuer Wirtschaftszweig. Mit Wachstum! Und Wohlstand! Und Wienerwürstchen für alle! Danke, ausserirdische Zombies.

Dieser Beitrag von Christian Hänggi erschien ursprünglich auf dem Blog des Werbe- und Kommunikationsbranchenportals persoenlich.com.