AWS, KS/CS & ADC: Branchenverbände im Faktencheck

Die Branchenverbände AWS Aussenwerbung Schweiz, Kommunikation Schweiz KS/CS und der Art Directors Club ADC haben in Medienmitteilungen und politischer Propaganda Behauptungen veröffentlicht. Einige davon hat die IG Plakat | Raum | Gesellschaft auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Gesamtfazit: Der Werbung ist nicht zu trauen.

Nachtrag Februar 2023: Wir haben alles nochmals sauber recherchiert und durchgerechnet und in einem Büchlein publiziert. Was weiter unten folgt, ist teilweise überholt. Konfrontiert mit ihren kommunikativen Fehlleistungen, haben die Branchenverbände AWS, ADC und KS/CS mit keinem Wort Stellung bezogen. Dafür hat der ADC uns umgehend auf ihren Werbenewsletter gesetzt.

Aus Angst vor Einschränkungen im Geschäft mit der Aussenwerbung wurde AWS Aussenwerbung Schweiz in den letzten Monaten zweimal aktiv. Am 25. August hat der Verband bekanntgegeben, den Stromverbrauch ab 1. Oktober freiwillig einzuschränken. Wenige Tage später hat AWS in eigenem Namen sowie im Namen von Kommunikation Schweiz KS/CS und dem Art Directors Club ADC eine Mail an alle Mitglieder des Zürcher Gemeinderats verschickt. Der Mail-Anhang wurde am 22.09.22 mit dem Titel «Das Plakat: Ein wichtiges Mediaum [sic!] für die Zukunft – auch in Zürich» auf der eigenen Homepage veröffentlicht.

Die IG Plakat | Raum | Gesellschaft hat einige der Aussagen einem Faktencheck unterzogen. Sollten wir einen Überlegungs- oder Rechenfehler gemacht haben, bitten wir um Mitteilung an info@plakat-raum-gesellschaft.ch.


Begleitmail von Christoph Marty, CEO Clear Channel, an Gemeinderat vom 30.08.22
«Die APG und Clear Channel bezahlen beide Steuern in der Stadt, die APG gehört zu den grössten 100 Steuerzahlenden der Stadt.»

Anhang der Mail an den Gemeinderat vom 30.08.22, veröffentlicht am 22.09.22
«APG|SGA und Clear Channel Schweiz bezahlen gemeinsam 1.5 Millionen Franken Steuern in der Stadt Zürich»

Wahrheitsgehalt: Das war einmal. Möglicherweise.

Die IG PRG hat vor einigen Jahren beim Steueramt Zürich um Auskunft gebeten, wie viel Steuern die beiden Unternehmen in der Stadt bezahlen. Das Auskunftsbegehren kam mit dem Vermerk «Unter diesen Angaben nicht am Register» zurück.

Gemäss unseren Nachfragen bei den beiden Unternehmen präzisierten sie, dass sie im Durchschnitt der Vor-Pandemiejahre gemeinsam rund CHF 1.5 Mio Franken Steuern in Zürich bezahlt haben. Belege für diese Zahl haben sie nicht geliefert, und wie viel es aktuell ist, konnte nicht eruiert werden. Angesichts der Tatsache, dass die APG|SGA mit Sitz in Genf für das ganze nationale und internationale Geschäft im Jahr 2021 CHF 2.5 Mio Franken Steuern ausweist (auf S. 23, CHF 209 000 auf S. 34), scheint die Zahl von CHF 1.5 Mio Steuern in der Stadt Zürich aber unplausibel.


Begleitmail von Christoph Marty, CEO Clear Channel, an Gemeinderat vom 30.08.22
«50% der Plakatwerbung wird von KMU im lokalen und regionalen Gewerbe für ihre Bedürfnisse genutzt.»

Wahrheitsgehalt: Um etwa Faktor 10 daneben.

Stichproben der IG PRG haben in der Stadt Zürich weniger als 3% der Plakatwerbung für KMU und Lokalgewerbe ergeben. Noch wichtiger: Wie der Infosperber herausgefunden hat, erhebt AWS diese Zahlen nicht einmal. Obwohl seine Behauptungen widerlegt wurden, hält Marty auf Nachfrage daran fest.


Begleitmail von Christoph Marty, CEO Clear Channel, an Gemeinderat vom 30.08.22
«Grenoble hat 300 von rund 3000 Plakatflächen abgebaut und damit auf 150 000 Euro verzichtet.»

Wahrheitsgehalt: Knapp daneben, aber: so what?

Es waren 326 Flächen (fast 10% mehr als von Marty erwähnt) und JCDecaux hatte dafür ursprünglich EUR 600 000 bezahlt (was lediglich 0,2% des städtischen Budgets war). Als der Vertrag ausgelaufen ist, hat JCDecaux nur noch EUR 150 000 jährlich dafür geboten. Korrekt wäre also: Grenoble hat 326 von rund 3000 Plakatflächen abgebaut und damit auf 150 000 Euro jährlich verzichtet.» Es wird aber überhaupt nicht klar, warum Marty diese Zahl überhaupt erwähnt, hat sie doch gar nichts mit Zürich oder der Schweiz zu tun. Denn sonst hätte er vielleicht auch erwähnen müssen, dass 98% der beim Stadtrat von Grenoble eingegangenen Zuschriften die werbefreie Stadt unterstützen.

Diese und andere Zahlen sind in diesem Interview zu finden.


Medienmitteilung vom 25.08.22; Communiqué vom 30.8.22, veröffentlicht am 22.9.22
«Der Energieverbrauch eines hinterleuchteten Plakates beträgt 0.029 kWh, jener eines Indoor ePanels (85 Zoll) 0.312 kWh und ein Outdoor ePanel (75 Zoll) verbraucht 0.700 kWh. Dieser Energieverbrauch ist bedeutend geringer ist als beispielsweise jener für Video-Streaming mit einem 65 Zoll Fernseher, mit einem Verbrauch von 1.3 kWh.»

Wahrheitsgehalt: komplett irreführender Vergleich, Hauptaussage im Grunde um Faktor 70 daneben.

Hier will die Aussenwerbungsindustrie offensichtlich darlegen, dass ein Werbescreen weniger schlecht für die Umwelt ist als ein Fernsehgerät. Halbwegs verlässliche Zahlen zum Energieverbrauch gibt es einzig in einer Energiebilanz für 75-Zoll-Outdoor-Werbescreens von 2017 und aus Herstellerangaben für TV-Geräte und Computerbildschirme. AWS bezieht sich auf eine Zusammenstellung hier und misst mit ungleichen Ellen.

Beim Fernsehgerät wird ein riesiger Bildschirm genommen, der in den wenigsten Wohnzimmern steht (ein zweimaliger Check bei der stündlich aktualisierten Liste der meistverkauften TV-Geräte auf Amazon.de hat lediglich 1 Gerät von 65″ oder mehr in den Top-20 ergeben, einmal auf Platz 8, einmal auf Platz 10). Dann wird ein Streaming-Wert für 4K genommen, bei dem, gemäss einer Studie von Borderstep, 88% des Energiebedarfs auf Kosten von Kommunikationsnetzen und Rechenzentren geht. Auch Werbescreens brauchen Kommunikationsnetze und Rechenzentren, aber dort wurde kein Versuch unternommen, das einfliessen zu lassen. Um das korrekt zu vergleichen, taugt also die vom AWS genannte Zahl nicht, abgesehen davon, dass die Energie für die Herstellung und Entsorgung der Geräte nicht inbegriffen ist.

Weiter liegt der Art der Präsentation eine massive Fehlinterpretation des Sachverhalts zugrunde: Je nach Standort laufen Werbescreens und hinterleuchtete Plakate 16 bis über 20 Stunden täglich. Die durchschnittliche Fernsehzeit liegt aber gemäss Bundesamt für Statistik bei 2 Stunden täglich. Hochgerechnet auf einen Tag bedeutet das (Annahme: Werbung 18 Stunden):

  • Hinterleuchtetes Plakat: 0.028 kWh × 18h = 0.504 kWh pro Tag = 184 kWh pro Jahr
  • 85-Zoll-Indoor: 0.315 kWh × 18h = 5,67 kWh pro Tag = 2070 kWh pro Jahr
  • 75-Zoll-Outdoor Werbescreen 0.57 kWh × 18h = 10.26 kWh pro Tag = 3745 kWh pro Jahr
  • 65-Zoll-Fernsehgerät: 0.13 kWh × 2h = 0.26 kWh pro Tag = 95 kWh pro Jahr

AWS wollte sagen, dass ein TV-Gerät fast doppelt so viel Strom verbraucht wie ein Werbescreen. In die richtigen Bezugsgrössen gestellt zeigt sich, dass ein Werbescreen de facto so viel Strom braucht, wie 40 Fernsehgeräte. Oder andersrum: Die rund 300 Werbescreens auf Stadtgrund brauchen so viel Strom wie 12 000 Fernsehgeräte und AWS/KS/ADC lagen de facto um etwa Faktor 70 daneben.

Obwohl ein Plausibilitäts-Check rasch hätte ergeben müssen, dass die Zahlen so keinen Sinn ergeben, haben nicht nur Branchenmagazine wie Persoenlich.com, sondern auch die NZZ die Zahlen abgedruckt, ohne weiter nachzufragen.


Medienmitteilung vom 25.08.22
«[Die grössten Mitgliedsfirmen des AWS] haben gemeinsam entschieden, im Rahmen einer temporären Selbstbeschränkung ab dem 1. Oktober 2022, ihre Screens, welche ohnehin in den Nachtstunden abgeschaltet werden, schweizweit noch eine Stunde länger ausser Betrieb zu nehmen – um damit ihren Stromverbrauch um mindestens 5 bis 7% signifikant zu reduzieren.»

Eins nach dem anderen:

«…ab dem 1. Oktober»

Wahrheitsgehalt: knapp verfehlt

Das mit den kürzeren Betriebszeiten ab 1. Oktober hat leider nicht geklappt, wie hier nachzulesen ist. Neo Advertising hat erst um den 8. Oktober die VBZ-Screens eine Stunde weniger lang laufen lassen; Clear Channel hatte auch noch am 24. Oktober einige Screens, die seit Monaten rund um die Uhr laufen. Kommt hinzu, dass oft nur die Bildschirme ausgeschaltet werden, aber alles andere weiter läuft oder im Standby-Modus ist.


«…welche ohnehin in den Nachtstunden abgeschaltet werden»

Wahrheitsgehalt: Stimmt nicht.

Die Nacht beginnt bei Sonnenuntergang und endet bei Sonnenaufgang. Die Nacht dauert im Sommer gut 8 Stunden, im Winter etwa 15.5 Stunden. Werbescreens laufen das ganze Jahr zwischen 16 Stunden (öffentlicher Grund, gemäss Vorschriften) und über 20 Stunden (SBB).


«Stromverbrauch [der Mitgliedfirmen] um mindestens 5 bis 7% zu senken.»

Wahrheitsgehalt: Stimmt nicht.

Die Werbescreens machen nur einen Teil des Stromverbrauchs aller Werbeträger aus. Andere stromfressende Werbeträger (Leuchtdrehsäue, hinterleuchtete Plakate, Plakatscroller) wurden nicht länger ausgeschaltet, und im Hintergrund der Werbescreens läuft andere Hardware oft weiter.

Zudem: Die Werbeträger machen nur einen Teil des Stromverbrauchs der Aussenwerbungs-Unternehmen aus. Bei Clear Channel macht der gesamte Energieverbrauch innerhalb der Organisation jährlich 4 681 049 kWh aus (+12% gegenüber Vorjahr). 3 152 710 kWh davon sind Werbeträger (wovon weniger als 30% mit Ökostrom betrieben).

Aufgrund der vorhandenen Zahlen ist nicht klar zu eruieren, wie viel Energieaufwand auf Kosten von Werbescreens gehen und wie viel auf Kosten von anderen strombetriebenen Werbeträgern. Klar ist aber, dass man nicht von «mindestens 5 bis 7%» Stromreduktion reden kann, wenn die Reduktion nur bei den Werbescreens zwischen 5% (von 20 auf 19 Stunden) bzw. 6.25% (von 16 auf 15 Stunden) ausmacht und alles andere nicht berücksichtigt wird.

Ausserdem ist es eine Tatsache, dass bei Clear Channel seit Beginn des Reporting nach GRI (also seit 2017) der Energieverbrauch jedes Jahr zugenommen hat, und zwar gesamthaft sowie für Gebäude, Werbestellen gesamt und Durchschnitt pro Werbestellen. Selbst die Treibhausgas-Emissionen haben von 2020 auf 2021 um über 20% zugenommen.