Kommentar: Gemeinderat will weiteren Ausbau von Aussenwerbung stoppen

Es war eine bemerkenswerte Abstimmung im Gemeinderat heute Abend, 7. September 2022. Der Stein des Anstosses: Ein Postulat, das lediglich wollte, dass sich Aussenwerbung nicht noch mehr in der Stadt ausbreitet. Wenn man den Voten von Mitte bis Rechts zugehört hat, dann hätte man meinen können, es gehe um nichts Geringeres als die Einführung einer stalinistischen Planwirtschaft.

Paradeplatz Neugestaltung
Wenn es nach der bürgerlichen Minderheit ginge, sähe der Paradeplatz so aus (Times Square, NYC, 18.8.22).

Im Vorfeld hat die IG Plakat | Raum | Gesellschaft bei den Parteien von Mitte bis Rechts das Gespräch gesucht und informiert. Es hat aber kaum jemand Interesse daran gezeigt. Ebenfalls im Vorfeld hat der Branchenverband Aussenwerbung Schweiz alle Gemeinderätinnen und Gemeinderäte mit Propaganda beliefert, die teilweise aller faktischen Grundlagen entbehrte (siehe auch hier).

Nach etwas neoliberalem Gefasel von den Stadträten André Odermatt (SP, Hochbaudepartement) und Michael Baumer (FDP, Departement der Industriellen Betriebe), das über weite Strecken Befindlichkeiten, nicht aber erhärtete Fakten, wiedergegeben hat, hat der Gemeinderat eine geschlagene Stunde diskutiert. Von Mitte bis Rechts wurden auch hier Behauptungen aufgestellt, die nichts mit dem Postulat zu tun hatten und andere, die schlicht nicht stimmen (beispielsweise hat Zürich, die Schweiz allgemein, eine im internationalen Vergleich hohe Plakatdichte, nicht eine tiefe, wie behauptet).

Vermutlich waren alle etwas überrascht über die Emotionen, die viele erfasst hat. Vielleicht war die Diskussion so emotional, weil Politwerbung oft Plakatwerbung ist und alle Parteien zugleich Kundinnen der Plakatgesellschaften sind.

Am Ende haben AL, Grüne und SP geschlossen für das Postulat gestimmt; alle anderen, selbst die Grünliberalen, geschlossen dagegen. Offenbar hat sich seit 2015 etwas verändert. Damals hat die AL ein Postulat in den Gemeinderat eingebracht, das – im Gegensatz zum aktuellen Postulat – Aussenwerbung reduzieren wollte. Gescheitert ist es daran, dass sich die SP damals fast geschlossen hinter ihren Stadtrat André Odermatt gestellt hat. Heute konnte sie sich von ihm lösen, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass Odermatt im Grunde kein Sozialdemokrat ist, sondern, besonders in dieser Frage, der FDP näher steht.

Das Geschäfts mit der Aussenwerbung ist notorisch intransparent, antidemokratisch und ideologisch verhärtet. Auch wenn sich die IG Plakat | Raum | Gesellschaft zuweilen der Polemik hingibt und sich den einen oder andern Seitenhieb nicht verkneifen kann, ist sie seit 15 Jahren der Sachlichkeit in der Argumentation und der Erhebung von empirisch nachprüfbaren Daten verpflichtet. Wie die Kommunikation mit dem Stadtrat seit 2007 und die Gemeinderats-Diskussionen heute und vor sieben Jahren gezeigt haben, ist das aber alles nichts wert. Wer denkt, dass Aussenwerbung sich ungehindert verbreiten soll und das sogar gut für die Gesellschaft und die Wirtschaft sei, der oder die braucht keine Quellenangaben, nachvollziehbaren Kalkulationen und Jahrzehnte gereiften Argumente.

Das ist bedaurlich.

Die Annahme des Postulats ist nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber ein bemerkenswerter. Nachdem der Stadtrat seit 15 Jahren alles, was von der IG Plakat | Raum | Gesellschaft kam, abgeschmettert hat, fühlen wir uns heute endlich ein wenig bestätigt.

Ein grosses Dankeschön an die Initiantinnen des Postulats und an die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, die für den öffentlichen Raum gearbeitet und gestimmt haben!