Blog: Die Illusion der Interaktivität

«e-advertising lanciert interaktives eBoard» titelte die zur Affichage gehörende eAd kürzlich in einer Pressemitteilung (Link nicht mehr verfügbar). Das Unternehmen hat eine neue Spielerei der Aussenwerbung entwickelt, die im von der APG zugemüllten Zürcher Hauptbahnhof die Blicke der Passanten noch besser auf sich ziehen soll.

Werbung werde mit diesem «Innovationsprojekt» «noch realistischer», die Sujets scheinen sich «magisch» zu verändern, sie würden zum «bewussten Spielen» anregen, so die Pressemitteilung. Bereits bevor die Werbetafel im Einsatz war, wusste Volkswagen, die eines der beiden Sujets gebucht hat, dass ihr neuer GTI «Passantinnen und Passanten mit Leidenschaft zur Interaktion mit dem eBoard» lockt.

Der Trick ist einfach: Das eBoard verfügt über einen Bewegungsmelder, der die komplexen Passantenströme auf einen binären Code herunterrechnet und die Bewegungen auf einem zweidimensionalen Bildschirm wiedergibt – durchmischt mit der Werbebotschaft von VW oder Coca-Cola. Wer morgens in den Spiegel blickt, der wird die gleiche Art von Interaktivität entdecken. Einfach in Echtzeit, ohne Stromverbrauch und erst noch realistischer.

Aber interagiert der Spiegel tatsächlich mit uns? Natürlich nicht. Genauso wenig wie das neue eBoard. Damit eine Interaktion stattfinden kann, braucht es zwei Partner, die autonome Entscheidungen treffen und aufeinander eingehen können. Eine Interaktion ist ein Hin-und-Her von Aktionen. Das eBoard ist eine Re-Aktion, und erst noch eine armselige. Aus allen erdenklichen Umwelteinflüssen wird ein einziger herausgenommen und wiedergegeben. Wir sehen die Schatten an der Wand und meinen, es sei die Wirklichkeit. Seit Platons Höhlengleichnis sind fast 2400 Jahre verstrichen. Vielleicht kommt die Affichage tatsächlich etwas spät mit ihren «Innovationsprojekten».

Freilich sind nicht nur die eBoard-Projekt- und PR-Verantwortlichen dem Irrglauben erlegen, es handle sich um eine interaktive Beziehung zwischen Passant und Werbetafel. Die Illusion hält sich hartnäckig, dass eine Maschine mit uns interagiert, wenn sie auf uns reagiert. Wahre Interaktion würde bedeuten, dass das eBoard mich als einzigartige Person kennenlernt, wiedererkennt und mir das liefert, was ich möchte. Nämlich Ruhe. Es wüsste, dass mich weder VW noch Coca-Cola interessieren und es deshalb hinausgeworfenes Geld ist, mich auf diese Art zu bestrahlen. Interaktion ohne Intelligenz ist Humbug.

Jeden Tag bleibe ich auf dem Weg zur Arbeit ein paar Minuten neben dem eBoard stehen. Die Beobachtung ist stets dieselbe: Auch diese Werbetafel wird kaum wahrgenommen. Die Passantinnen und Passanten fühlen sich vom eBoard nicht angezogen. Es löst keine Emotionen aus, von Leidenschaft ganz zu schweigen. Denn intuitiv wissen alle, dass es nichts mit Interaktion zu tun hat.

Dieser Beitrag von Christian Hänggi erschien ursprünglich auf dem Blog des Werbe- und Kommunikationsbranchenportals persoenlich.com.