Blog: Über die Melancholie der Werbung

Weniger als ein Drittel der Bevölkerung mag Werbung. Im Durchschnitt gefallen nur etwa 12 % der Kampagnen. Traurig, nicht?

In jeder zweiten Printausgabe der Werbewoche erscheint ein «Impact Check», der aktuelle Kampagnen unter die Lupe nimmt. Befragt werden rund 500 Personen zu Awareness, Uniqueness, Brand Fit und Likeability von ausgewählten Anzeigen.

Betrachten wir einmal die Likeability, also die Frage danach, inwiefern eine Werbung gefallen hat. Grundlage sind die 20 untersuchten Kampagnen in den Werbewoche-Ausgaben vom 5. Juni und 2. Juli 2009. Die Werte schwanken je nach Kampagne zwischen 1,8 % und 31,8 %. Keine gefällt also auch nur einem Drittel der Befragten. Der Durchschnitt beträgt 11,7 %. Ein erstaunlicher Wert in einer Industrie, die eine Obsession mit dem imaginären Massenmenschen hat.

Was bedeutet es, dass die Kampagne 11,7 % der Befragten gefallen hat? Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mit 10 Leuten am Stammtisch. Während Wochen haben Sie sich einen genialen Witz erdacht. Sie sind überzeugt, dass die Pointe am richtigen Ort sitzt. Sie haben die Intonation und Gestik vor dem Spiegel eingeübt. Sie würden sogar bis zur Hälfte Ihres Monatsgehalts für ein Patent auf diesen Witz bezahlen. Und jetzt kommt der grosse Moment. Sie räuspern sich und erheben Ihre Stimme. Der Witz dauert nur 30 Sekunden, doch bereits nach 10 Sekunden lassen zwei Ihrer Kumpel das gestrige Champions-League-Spiel Revue passieren. Nach weiteren 5 Sekunden setzen drei andere ihre Diskussion über die neuen Stromtarife fort, während der Kumpel rechts von Ihnen aufs Klo verschwindet. Am Ende des Witzes haben immerhin vier Leute wahrgenommen, dass Sie einen Witz erzählt haben. Einer hat gelacht. Womöglich war es der Langweiler, der mit 45 noch bei seinen Eltern wohnt.

Traurig, nicht?

Die Allegorie ist nur bedingt geeignet, um einen Vergleich mit der Werbung anzustellen, denn bei der Werbung verschwindet der einzigartige Mensch: sowohl jener, der die Werbung geschaffen hat, wie jener, der sie betrachtet. Während Sie am Stammtisch vielleicht etwas mehr Einfühlungsvermögen hätten erwarten dürfen, verschwindet die Empathie auf beiden Seiten der Übermittlung einer Werbebotschaft. Das ist einerseits ein Mechanismus zum Selbstschutz. Anderseits auch die Ursache einer enormen Verschleuderung von Ressourcen.

Und hier liegt das Problem. Sie haben die Aufmerksamkeit von zehn Leuten in Anspruch genommen. Vier haben Ihnen zugehört (das entspricht dem Awareness-Durchschnittswert der 20 Kampagnen). Einer hat gelacht. Freuen Sie sich mit ihm. Aber bilden Sie sich nicht zuviel auf Ihren Witz ein. Und vergessen Sie nie, dass Sie drei Leuten die Zeit geraubt haben. Eigentlich wollten Sie ja von neun Leuten die Zeit in Anspruch nehmen, bloss haben sechs Leute sich nicht beeindrucken lassen. Es ist Zeit für eine Ökonomie der Aufmerksamkeit. Würde man diese berücksichtigen, würde sich auch die Ökonomie der Werbetreibenden verbessern.

Ich gehöre meist zu den drei Leuten, denen Werbung Zeit raubt. Manchmal zu den sechs Leuten, deren Zeit geraubt werden sollte, die sich aber vorher abwenden. Fast nie gehöre ich zu den Leuten, die lachen. Einfach deshalb, weil es nichts zu lachen gibt. Oder weil die guten Werbungen im «widerhallenden Trommelfeuer der Wiederholung» (Marshall McLuhan) belangloser Botschaften untergehen.

Traurig, nicht?

Dieser Beitrag von Christian Hänggi erschien ursprünglich auf dem Blog des Werbe- und Kommunikationsbranchenportals persoenlich.com.