Kollektives Halluzinieren: Wie Goldbach Neo die Stadt und die SLK täuscht – und weitere unrühmliche Details


Werbespots auf den Bildschirmen von Goldbach Neo OOH in der Stadt Zürich und Umgebung dauern 10–20% kürzer als vorgeschrieben und verkauft. Beschwerden beim Hochbaudepartement und der Lauterkeitskommission wurden abgewiesen. Der Schriftverkehr zeigt nicht nur, wie Goldbach Neo bzw. AWS Aussenwerbung Schweiz getäuscht hat, sondern liefert weitere, möglicherweise strafrechtlich relevante, brisante Details.

15 Sekunden dauern 15 Sekunden. Auf der ganzen Welt. Immer. Ausser bei den Werbescreens von Goldbach Neo OOH in Zürich und Umgebung. Dort herrscht eine alternative Zeitrechnung. Die Spots dauern nur rund 13.5 Sekunden statt den vorgeschriebenen und verkauften 15 Sekunden. Wo 10-Sekunden-Spots vorgeschrieben sind, dauern sie 8 Sekunden, manchmal 9. Nie aber 10.

Das ist nicht etwa ein schweizweiter Standard, denn die Konkurrenz liefert brav 15 Sekunden, wenn sie 15 Sekunden verkauft, und die Konkurrenz hält sich auch an die Vorschriften der Stadt Zürich. Auch in anderen Städten liefert Goldbach Neo 15 Sekunden.

Die IG Plakat | Raum | Gesellschaft hat das Nichteinhalten der Vorgaben zum Betrieb der Stadt Zürich gemeldet. Geschehen ist nichts. Out-of-Home Watch hat bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission (SLK) eine Beschwerde eingereicht. In beiden Fällen hat Goldbach Neo behauptet, es sei anders, als was sich empirisch beweisen lässt. Sowohl die SLK als das HBD haben diese Lüge einfach geglaubt, ohne sie mit einem konventionellen Zeitmesser zu überprüfen. Dadurch ermöglichen sie, dass Goldbach Neo täglich hunderttausendfach die Regeln bricht und gegenüber der Konkurrenz 10 Prozent mehr Einblendungen verkaufen kann (bzw. eine um 10 Prozent höhere Reichweite vorgaukeln kann).

Mit dieser Grafik hat Aussenwerbung Schweiz AWS bzw. Goldbach Neo die Schweizerische Lauterkeitskommission und das Hochbaudepartement getäuscht. Nachgeprüft hat niemand.

Auch wenn es skandalös ist, wirklich überraschend ist es nicht. Dass die SLK als Organ der Werbeindustrie sich schützend vor ihre eigenen Leute stellt, ist bekannt. Dass sich das HBD unter Stadtrat André Odermatt stets auf die Seite der Werbeindustrie geschlagen hat, hat die IG PRG in der seit acht (!) Monaten unbeantworteten Aufsichtsbeschwerde im Detail festgehalten.

Die Antworten von APG|SGA bzw. Tochterfirma Swiss Poster Research Plus AG und Goldbach Neo auf zwei verschiedene Beschwerden bei der Lauterkeitskommission und der E-Mail-Verkehr, den die Stadt Zürich der IG PRG drei Monaten nach Gesuch (anstelle der gesetzlichen Frist von einem Monat) zugestellt hat, offenbaren aber eine Reihe weitere problematische Tatsachen.

Goldbach bringt IG PRG mit Vandalismus in Verbindung

In einer E-Mail vom 7. Januar 2025 an zehn Empfänger:innen beim Hochbaudepartement und der VBZ (man duzt sich übrigens) unterstellt eine Person von Goldbach Neo, dass «die ■■■■■■■■ und ihre Unterstützer […] selbst vor Vandalenakten wie dem Bekleben und Besprühen von Werbeträgern […] oder gar massiven Sachbeschädigungen durch Einschlagen von Scheiben» nicht zurückschrecken.

Auszug aus einer E-Mail von Goldbach Neo an zehn Personen beim Hochbaudepartement und der VBZ

Die Länge der geschwärzten Stelle lässt erahnen, dass die IG Plakat | Raum | Gesellschaft gemeint ist. Diese haltlose Unterstellung dürfte den Tatbestand von StGB Art. 173 (Üble Nachrede), Art. 174 (Verleumdung) oder Art. 177 (Beschimpfung) erfüllen, was mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden kann.

Geschätzt 65% Leerstand bei Zürcher Werbescreens

Aus der Rekursantwort von Goldbach Neo an die SLK geht auch hervor, was jeden Tag zu beobachten ist: Das Angebot an Werbescreens übersteigt die Nachfrage nach digitaler Aussenwerbung bei Weitem. Doch die Bildschirme werden nicht ausgeschaltet. Es gibt einfach Gratiswerbung ohne Ende. 47% der kommerziellen Sujets laufen, weil gerade niemand sonst einen Werbespot gebucht hat:

Leerstand bei digitaler Aussenwerbung von Goldbach Neo

Leerstand bei digitaler Aussenwerbung von Goldbach Neo OOH in Zürich: rot steht für verkauft, blau für geliefert. Nur kommerzielle Spots; die Gratis-Spots für eine Reihe von nichtkommerziellen Organsationen sind nicht inbegriffen.

Hinzu kommen zahlreiche Einblendungen für nichtkommerzielle Organisationen. Diese machen manchmal über 50%, an gewissen Standorten gegen 100% der Einblendungen aus. Die IG PRG schätzt, dass in Zürich auch nach Jahren der Vermarktung nur etwa ein Drittel der Werbespots bei Goldbach Neo überhaupt verkauft werden. Eine gigantische Energieverschleuderung, die nur möglich ist, weil das Hochbaudepartement an der Nachfrage vorbei Werbescreens bewilligt, um den Plakatgesellschaften einen Gefallen zu erweisen. Das geschah und geschieht alles unter Stadtrat André Odermatt. Viel Verantwortung dafür trägt aber auch der kürzlich in den Ruhestand getretene Bernard Liechti.

AWS/SPR+/APG/Goldbach ist einerlei: Konkurrenz trifft Absprachen

Eigentlich wären APG|SGA und Goldbach Neo Konkurrenten. In der Praxis treffen die beiden mit Abstand grössten Marktteilnehmer aber Absprachen hinter verschlossenen Türen. Dies geschieht über Swiss Poster Research Plus AG und den Branchenverband Aussenwerbung Schweiz AWS. Offenkundig wurde es dies wieder, als AWS sich in Sachen Goldbach Neo OOH beim Hochbaudepartement eingeschaltet hat, obwohl Goldbach Neo, nicht der Branchenverband, Vertragspartner der Stadt Zürich ist und die Regeln gebrochen hat.

Ein eklatanteres Beispiel: Out-of-Home Watch hat bei der Lauterkeitskommission eine Beschwerde gegen Swiss Poster Research Plus AG (SPR+) eingereicht, weil die Firma sich als neutral und transparent bezeichnet, obwohl sie eine 100%-ige Tochter von APG|SGA ist und mit ihrem Geschäftsmodell die Basis für den Profit von APG|SGA (und darüber hinaus von Goldbach Neo) legt. Ein Teil der Beschwerdeantwort von SPR+ wurde fast wörtlich von Goldbach für eine Beschwerdeantwort in anderer Sache übernommen, und dies zu einem Zeitpunkt, an dem die SLK noch kein Urteil in der Causa SPR+ gefällt hatte. Aus unserer Sicht besteht kein Zweifel: Auch hier wurden Absprachen getroffen. Vermutlich über SPR+, vielleicht auch AWS. Zudem legt der Wortlaut einer Äusserung von Werbelobbyist Matthias Ackeret im Fernsehen nahe, dass SPR+, Goldbach, AWS und/oder APG diese Beschwerdeantworten auch mit ihm geteilt haben.

Anarchy in the ZH

Ist es schlimm, dass die Spots 13.5 Sekunden statt 15 dauern? Nicht wirklich. Die stille, aber zentrale Frage dieser Übung war eine andere: Wie viel Selbstverleugnung, Weltfremdheit und kognitive Dissonanz ist nötig, damit die Stadtverwaltung, die Lauterkeitskommission und die Werbeindustrie nicht zugeben müssen, dass ihre Kritiker:innen Recht haben?

Die Antwort: Sie werden die Werbeindustrie bis zum Letzten verteidigen.

Willkommen im postfaktischen Zeitalter.

Die IG PRG bleibt dennoch ratlos zurück. Wenn das Aussenwerbe-Duopol durch Absprachen monopolistische Tendenzen annimmt, Regeln brechen kann und alles behaupten darf, ohne dass dies überprüft und sanktioniert wird – was sind dann Regeln überhaupt noch wert? Was ist die Lauterkeitskommission wert, wenn sie die Behauptungen einer auf Propaganda getrimmten Industrie für bare Münze nimmt? Warum rühmt Stadtrat André Odermatt die Regeln vor versammeltem Parlament, wenn sein Departement nicht einmal in der Lage ist, auf Meldung hin 15 Sekunden zu zählen – geschweige denn selber aktiv zu werden?

Das Hochbaudepartement und die Lauterkeitskommission hätten Gelegenheit gehabt, unleugbare Tatsachen festzustellen. Das hat sie aber nicht interessiert. Wenn die Werbeindustrie und das Hochbaudepartement Anarchie wollen, dann müssen sie nicht jammern, wenn mal ein Kleber auf einem Plakat auftaucht.